In den nächsten zwei Monaten werde ich an dieser Stelle eine kleine Sammlung von Protestsongs seit den sechziger Jahren anlegen. Vielleicht ergeben sich daraus ja eine Typologie und eine Geschichte des Protestsongs, die irgendwie Sinn machen.
Diese Woche:
Die jüngste Hipstersoziologie hat wiedereinmal daran erinnert, dass prekäre Aneignungsverhältnisse (manche würden sagen: Enteignungsverhältnisse) im Herzen so mancher Jugend- und Subkultur liegen. Popkultur wird, wie alles andere auch, durch die Kategorien Rasse und Klasse strukturiert (Geschlecht ist ebenso zentral, wird in dieser Diskussion aber eher an den Rand gedrängt). Was für den Hipster galt und gilt, trifft ebenso deutlich, wenn auch mit anderen Akzenten auf Punk zu: in der Regel weiße, in der Regel männliche Jugendliche ‚leihen‘ sich die Symbole und den Stil einer marginalisierten (schwarzen) Subkultur – ihre coolness, ihren Außenseiterstatus usw.
Spätestens seit den sechziger Jahren bot die Identifikation mit der Black Culture – was auch immer darunter verstanden wurde – eine Möglichkeit, das eigene Anderssein auszudrücken. Und hier kommt Punk ins Spiel: „Punk“, so schreibt Stephen Duncombe, „offered a space for young Whites growing up in a multicultural world to figure out what it meant to be White.“ Whiteness wird zu punk whiteness, zu oppressed whiteness. Nur, diese Perspektive erschloss sehr konträre neue Wege. Einerseits ließen sich Beschwörungen einer ‚unterdrückten weißen Minderheit‘ für rassistische Politiken mobilisieren, andererseits kamen – mit The Clash und anderen – Bestrebungen in Gang, kulturell, musikalisch usw. ein anderes, solidarisches, anti-rassistisches Weißsein zu etablieren. Daher auch The Clashs Institieren, dass man keinen white reggae spiele, sondern punk and reggae. Nachzulesen ist das alles in der großartigen Textsammlung White Riot: Punk Rock and the Politics of Race, die unzählige Einsichten und kluge Analysen vermittelt.
White Riot, dieser signature song von The Clash, steht in engem Zusammenhang mit den black riots, die sich 1976 beim Notting Hill Carnival entzündeten. Die gesamte britische Öffentlichkeit konnte hier beobachten, wie sich ein fröhlich-buntes Fest schlagartig verwandelte: „into a menacing congregation of angry black youths and embattled police. Hordes of young black Britons did the Soweto dash across the nations’s television screens and conjured up fearful images of other Negroes, other confrontations, other ‚long, hot summers‘.“ (Dick Hebdige, Subculture. The Meaning of Style)
Mitglieder von The Clash sind vor Ort und erleben die Riots hautnah, werden angesteckt, sind beeindruckt von der mehr als berechtigten Wut, spüren aber auch, dass es nicht ihre Wut, nicht ihr Protest, nicht ihre Rebellion ist. Und da sind sie dann, Joe Strummers legendäre Textzeilen:
White riot – I wanna riot
White riot – a riot of my own
Da ist er, der Kontrast, in dem mehr als ein klein wenig Neid zum Ausdruck kommt, gemischt mit Bewunderung:
Black people gotta lot a problems
But they don’t mind throwing a brick
White people go to school
Where they teach you how to be thick
Um gender nun doch ein wenig ins Spiel zu bringen: The Clash stehen mit White Riot auch in einer Protestsongtradition, die explizit männlich ist. Der Song evoziert eine heroische Männlichkeit, die Kämpferpose. Das ist jene Tradition, in der die Rolling Stones über den Street Fighting Man singen oder Billy Bragg die Jungs fragt: Which Side Are you On? Gewalt und Auseinandersetzungen auf der Straße – vornehmlich natürlich mit der Polizei – werden zu Signum und Quelle dieser Art Männlichkeit. Ohne dass hier explizit von den boys die Rede ist, wird doch klar, gegen wen das Ganze gerichtet ist: gegen die verweichlichten weißen Kids, die feigen und unmännlichen, die aus Angst vor Konsequenzen den Schwanz einziehen.
All the power’s in the hands
Of people rich enough to buy it
While we walk the street
Too chicken to even try itEverybody’s doing
Just what they’re told to
Nobody wants
To go to jail!