In den nächsten zwei Monaten werde ich an dieser Stelle eine kleine Sammlung von Protestsongs seit den sechziger Jahren anlegen. Vielleicht ergeben sich daraus ja eine Typologie und eine Geschichte des Protestsongs, die irgendwie Sinn machen.
Diese Woche:
Racist Friend (1983) von The Specials dürfte sicher zu den bekanntesten anti-rassistischen Songs der jüngeren und etwas älteren Popgeschichte zählen. Racist Friend gehört zu jenen Songs, die ihr politisches Anliegen unmittelbar und unumwunden artikulieren. Es ist ein Song, der ganz eindeutig eine message hat. Damit ignorieren The Specials so manches boshafte Statement (zum Beispiel von Bob Dylan), wonach man im Fall des Vorahndenseins einer Botschaft doch lieber zum Postamt gehen oder Journalist werden, statt einen Song schreiben solle.
The Special setzen in ihrem Song auf direkte Ansprache, face to face. „If you have a racist friend … „, „Call yourself my friend …“, „So if you are a racist, our friendship has got to end …“. Das Video unterstützt diesen Versuch, individuelle, persönliche Beziehungen zwischen Band und Publikum herzustellen. Bandmitglieder schauen und reden in Großaufnahme direkt in die Kamera, sie fokussieren ihr gegenüber. Sie meinen mich und dich.
Der Song versucht, eine anti-rassistische community herzustellen, eine (nicht nur) musikliebende community, deren verbindendes Band ein anti-rassistischer Konsens ist. In gewisser Weise ist das der Versuch, das Bandkonzept der Specials zu verallgemeinern: 2-tone, Schachbrettmuster, schwarz und weiß; eine anti-rassistische Haltung, die sich in Stil und Musik ebenso widerspiegelt wie in den sozialen Beziehungen. Musik und Gesang bringen das großartig zum Ausdruck. Racist Friend ist nicht das persönliche politische Statement eines Bandleaders, sondern Zeichen eines Miteinanders, das in dieser Weise erst auf der Grundlage eines geteilten, gemeinsamen Anti-Rassismus möglich wird.
The Specials stehen damit für eine neue Form anti-rassistischen Aktivismus, der in den späten siebziger und frühen achtziger Jahren im britischen Kontext wirkmächtig wurde. In Reaktion auf eine Reihe brutaler Übergriffe, Auseinandersetzungen und riots waren es Teile der Jugend- und Subkultur, die vereinzelte anti-rassistische Aktionen in eine Bewegung verwandelten. Vor allem Rock Against Racism (RAR) tat sich dabei hervor. Paul Gilroy schrieb bereits 1987 in seiner inzwischen klassischen Studie There Ain’t No Black in the Union Jack. The Cultural Politics of Race and Nation:
„RAR’s audience, the anti-racist crowd, was conceived not only as consumers of the various youth cultures and styles but as a powerful force for change which, in its diversity, created something more than the simple sum of its constitutitve elements. This anti-racism drew attention to the complex race politics of all white pop music and grasped the importance of the black origins of even the whitest rock as a political contradiction for those who were moving towards racist consciousness and explanations of the crisis.“
Neben diesem neuen Anti-Rassismus, der die Sprache und Symbole der black culture innerhalb der Jugend- und Popkultur mobilisierte, um rassistische Spaltungen zu überwinden, ist an Racist Friend etwas anderes bemerkenswert. The Specials liefern mit ihrem vermeintlich unscheinbaren Text eine profunde und starke Interpretation von Rassismus.
Be it your sister
Be it your brother
Be it your cousin or your uncle or your loverIf you have a racist friend
now is the time, now is the time for your friendship to endBe it your best friend
Or any other
Is it your husband or your father or your mother?
The Specials beschreiben Rassismus als Alltagsrassismus. Rassismus ist nicht das exklusive ‚Vorrecht‘ eindeutig und offen rechtsradikaler Parteien, Politiker und ihrer Anhänger (der Song ist eben kein direkter Angriff auf die National Front). Rassismus ist überall, zumindest kann er überall sein. Auch (ansonsten) nette Menschen (so nett immerhin, dass man mit ihnen befreundet sein, sie lieben oder gar geheiratet haben kann) können Rassisten sein. Mit einer simplen Aufzählung hebeln The Specials den damals gängigen Rassismusbegriff aus, wonach Rassismus immer nur ein Problem ‚der Anderen‘ ist und demzufolge man gar kein Rassist sein kann, solange man nicht Mitglied einer rechtsextremistischen, neo-faschistischen Partei ist und brüllend durch die Straßen marschiert.
Der zweite Punkt, der auffällt, ist die Entschiedenheit und Kompromisslosigkeit in der Forderung, sich loszusagen, wenn Rassismus ist Spiel kommt. Ist es nicht etwas viel verlangt, sich gleich von Eltern, Ehepartnern und besten Freunden abzuwenden? Reicht es nicht, wenn man kurz den Kopf schüttelt, ansonsten aber ein Auge zudrückt? Die Antwort auf beide Fragen kann nur dann ‚Ja!‘ lauten, wenn man einen bestimmten Rassismusbegriff hat. Nur, es ist genau dieser Begriff, der Rassismus immer nur als Verirrung, Geschmacklosigkeit, Ausrutscher, blöden Spruch und ’nicht so gemeint‘ abtut, von dem The Specials sich entschieden distanzieren. Racism matters. Rassismus macht etwas mit den Menschen, er fügt Verletzungen zu, die so tief sind, dass es eben doch gerechtfertigt ist, zu fordern, was der Song fordert.
Rassimus ist – so kann man den Song der Specials hören – ein dead end. Wo Rassismus ist, gibt es keine sozialen Beziehungen, und es kann sie auch nicht geben. In diesem Sinn ist der Rassismusbegriff der Specials das Gegenstück zur Idee eines Anti-Rassismus, der auf Gemeinsamkeit und Miteinander setzt.