„Ich habe eine Menge Sachen am Laufen, und ich bin durchaus in der Lage, jede einzelne von ihnen in den Sand zu setzen, ohne dass ich es will.“
„Ich bin also in der Songmaschinerie vom Weg abgekommen. Ich irre durch die Gänge der Normalität und habe das Halluzinieren verlernt.“
(Neil Young)
Neil Youngs quasi-autobiographisches Buch Ein Hippie-Traum (Originaltitel: Waging Heavy Peace) ist ein wirklich merkwürdiges, schrulliges Buch. Und entgegen meines sonstigen Wortgebrauchs ist ’schrullig‘ hier ausnahmsweise nicht nur als Lob und anerkennende Verbeugung gemeint. Die Lektüre hat so ihre Momente, insgesamt bleibt aber das ungute Gefühl, über 476 Seiten von einem älteren Herren an der Nase herumgeführt worden zu sein. Wer das, wie ich, mit sich machen lässt, ist in diesem Fall zwar selbst schuld – das macht Neil Youngs Buch im Umkehrschluss aber dennoch nicht zu einem großen coup oder einem famosen Werk der Literatur.
Da nichts auf diesem literarischen Planeten so verrottet ist, wie das Genre der Celebrity-(Auto-)Biographie (das dennoch manchmal wundervoll funktioniert – siehe Alice Bag), treibt Neil Young natürlich seinen Schabernack mit dem Genre. Er nimmt weder sich als Autor eines autobiographischen Buchs, noch das Buch selbst noch gar seine Leser_innen ernst. Demonstrativ nicht. Young inszeniert das Schreiben (dieses Buchs) als Zeitvertreib. Er schreibt, was auch immer ihm gerade im Moment des Schreibens einfällt, und er schreibt das Buch, weil und so lange er es nicht hinbekommt, neue Songs zu schreiben. Jeder schlicht-schlechte Satz in kumpelhaftem Stil (an den Übersetzer_innen liegt das sicher nicht!) will sagen: Erwartet bloß kein kohärentes Buch, das man verdächtigen könnte, einem literarisch-narrativen Plan zu folgen.
„Schreiben ist sehr komfortabel, verursacht kaum Kosten und ist eine vorzügliche Art, die Zeit verstreichen zu lassen. Ich kann es jedem alten Rockmusiker, der nicht gut bei Kasse ist und nicht weiß, was er tun soll, wärmstens empfehlen.“ (S. 219)
„Eine Nebenbemerkung für Euch, die Leser: Das Schreiben hat mir hierher Spaß großen gemacht, auch wenn es um die harten Dinge ging […]. Und während wir uns den Weg durch diese Erfahrung bahnen und ich den ein oder anderen Gedanken aus dem Sack lasse und geduldig auf Ideen aus heiterem Himmel warte, landen wir unausweichlich bei einigen der längsten Bandwurmsätze der Geschichte, die mich an Punkte führen, die ich vielleicht gerne vermieden hätte, aber nicht meide, wo ich nur kann!“ (S. 327)
Der eine oder die andere mag das witzig und ach-so-selbstironisch finden. Ich nicht. Bei all der Kritik an mp3-Wiedergabelisten, schlechter Musikqualität und dem beklagten Niedergang des Albums als Kunstform: Das Buch ist selbst nicht mehr als eine playlist im shuffle mode. Youngs randomisierte Reflektionen und Exkurse entsprechen genau dem Umstand, dass „man Titel einzeln bekommen und sie in zufälliger Reihenfolge abspielen kann“, etwas, das Young „zum Kotzen“ findet. Mit der literarischen Qualität im Verhältnis zu ‚richtiger‘ Literatur dürfte es sich in etwas so verhalten, wie mit der Klangqualität einer mp3 im Verhältnis zu Vinyl.
Manchmal tut das Buch so, als wollte es meditativ sein. In der Regel ist es aber nur repetitiv. Das Buch tut so, als würde sein Autor mit unendlicher Freiheit durch Themen und Kapitel halluzinieren – nicht als Drogenfreak, sondern als Freigeist und souveräner Herr über das eigene Delirieren. Nur: Am Ende weiß man nicht, ob dieser Hippie-Traum gelebt, geschrieben oder geträumt wird. Immer wieder die gleichen Themen, Formulierungen, Floskeln usw. Immer wieder. Immer wieder. Das wird den Lesenden dann auch noch in kumpelhaftem Ton ironisch aufs Brot geschmiert. Hab ich schonmal erzählt, ne? Zwinker, zwinker.
Neil Youngs Hauptbeschäftigung in diesem Buch besteht darin, seinen schrullig-heiligen Ernst in diversen, exzentrischen Aktivitäten pseudo-ironisch zu inszenieren. Young bastelt an Modelleisenbahnen, tüftelt an neuen digitalen Musikformaten oder an einem Elektroauto im Straßenkreuzerformat. Er liebt und sammelt: Gitarren und Autos, meist aus den fünfziger Jahren. Und er weiß, wie sich das mit Bedeutung aufladen lässt: „Ich habe ein Faible für Transportmittel. Autos, Boote, Züge Reisen. Ich bin gern unterwegs.“ (S. 12)
Eine Erkenntnis bietet das Buch dann aber doch: Sollte irgendjemand noch immer meinen, dass der Hippie-Traum ein anti-kapitalistischer Traum war, ist oder sein kann – nach der Lektüre dieses Buchs dürfte sich das definitiv erledigt haben. Neil Youngs Hippie-Traum erweist sich als nichts weniger denn als Motor und Treibstoff eines Traumkapitalismus. Dieser neue Typus des Kapitalismus löste und löst seit den sechziger Jahren den bis dahin dominierenden Industriekapitalismus, den corporate capitalism us-amerikanischer Prägung ab. Der Hippie ist die zentrale Figur in diesem Kapitalismus neuen Typs. Der Hippie als creative entrepreneur.
„Ich nehme Dinge einfach gern in die Hand. Ich kann es nicht ausstehen, auf Zustimmung zu warten, denn ich habe meinen eigenen Zustimmungsmesser. […] Ich finde nie Geldgeber für ein Vorhaben abseits der Musik, weil ich der Einzige bin, der daran glaubt – und ich ziele nicht auf Gewinn ab. Ich habe Unternehmergeist. Ich verfolge ein Vorhaben, weil ich es bereits vor mir sehe. Das ist Fluch und Segen in einem. […] Wir brauchen Kontrolle. Mein Schwiegervater lebte nach der 51-Prozent-Regel – so viel muss man von einer Sache selber machen, sonst gibt man die Zügel aus der Hand. Ich habe mich daran zu halten versucht, aber manche Ideen sind einfach zu groß, als dass ich sie allein tragen könnte.“ (S. 44f.)
Young skizziert wieder und wieder verschiedene ‚Projekte‘ (der Hippie-Traumkapitalismus funktioniert natürlich in dieser, nicht in korporativ-bürokratischer Form). Sein LincVolt, PureTone usw. Jede Tour und jeder Film werden potentiell zu einer Unternehmung, zu einem unternehmerischen Projekt. „Gib einem Hippie zu viel Geld, und alles ist möglich“ (S. 83). Die Dreifaltigkeit dieses Kapitalismus lautet: „Innovationskraft, Kreativität und Entschlossenheit“ (S. 89) – natürlich im Dienste von The Great Spirit. Und darum geht es doch: um „ein paar ganz normale Typen […], die ohne jegliche Erfahrung versuchen, den American Dream mit einer neuen Energie zu beleben“ (S. 90).
„Wenn ich irgendwas fast so sehr liebe, wie das Musikmachen, dann etwas zu bauen. […] Warum fasziniert mich dieser Prozess, wenn Leute – Künstler, Designer, Ingenieure – irgendetwas bauen oder entwickeln? Es liegt wohl daran, dass ich zu Beginn eines Projekts noch nicht genau weiß, ob eine Idee funktioniert. Diese Kreativität ist faszinierend. Ich beobachte unheimlich gern, wie etwas entsteht, versuche lenkend einzugreifen und die Ziele und die Tragweite eines laufenden Projekts auszubauen. Manch einer hält das für die falsche Herangehensweise, aber in meinen Augen ist es der einzig wahre Weg zur Erkenntnis.“ (S. 102)
Bei der Lektüre von Ein Hippie-Traum lässt sich lernen, wie jener von Luc Boltanski und Ève Chiapello skizzierte Zusammenhang von Kapitalismus und Kapitalismuskritik im Einzelfall funktioniert, wie ‚Künstlerkritik‘ und ‚künstlerische Avantgarden‘ eine Haltung forcieren, die dem Kapitalismus letztlich neue Energie zuführt, dabei freilich auch zu einem grundlegenden Wandel des Kapitalismus beiträgt.
Zum Kapitalismus, wie wir ihn kannten, positioniert Neil Young sich doppelt, etwas ambivalent, etwas ironisch. Einmal stört ihn der heutzutagige Einbruch des Kapitalismus in die Musik, der darin bestehe, dass bei Konzerten in den ersten Reihen nicht mehr die Musikliebhaber stünden, sondern diejenigen Platz nähmen, die sich diese extra-teuren Karten leisten könnten – um ihn, den Neilosaurus, als eine Art Museums- und Ausstellungsstück zu bewundern. Ein andernmal preist er den Kapitalismus.
„Gott sei Dank rettete mich der Kapitalismus, und ich konnte mir eine Green Card kaufen. Eine echte Green Card. […] Amerika ist großartig, und Kapitalismus rockt! Die meisten wissen gar nicht, wie schwer es ist, an so eine Karte heranzukommen. Ein Amerikaner könnte meinen Job genauso gut machen. Es gibt genug Gittaristen. […] Aber das war der Kapitalismus, wie er leibt und lebt, das kann ich euch sagen.“ (S. 161)
PS. Der Großartigkeit der Musik kann das alles nichts anhaben.
gefällt mir, lieber herr luks!
ein absatz zur autorfunktion im format der künstler-auto-biographie als unternehmerisches selbst wäre sicherlich noch sehr hübsch gewesen, aber das ist natürlich nur ein vorschlag, keine kritik 🙂
stimmt. aber dann wäre ich ja ruckzuck bei einer generalanalyse des genres gewesen … und das lässt sich an einem lazy sunday afternoon nun wirklich nicht leisten 😉
Herzlichen Dank für den Hinweis auf (& für) diesen Text. Das nimmt mit die Lektüre der Young-Biografie ab. 😉
Gern, Die Lektüre der Young-Biografie ist wirklich nur dann etwas, wenn man so überhaupt nichts anderes zu tun hat …
Ich mag den Text und besonder die Zeile mit dem Buch als Playlist im shuffle mode 🙂
Vielen Dank! Ich habe grad noch einmal drüber gelesen und war dann doch etwas überrascht, wie gemein ich beim Schreiben war … das Buch hat das aber verdient 😉