Eruption und Gärung – Jürgen Goldstein: Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt

Vor wenigen Tagen wurden die Nominierungen für den Preis der Leipziger Buchmesse bekanntgegeben (eine Zusammenstellung gibt es z.B. hier). Nun kann die Diskussion losgehen: Wer kennt welchen Titel? Welcher Titel steht ‚zurecht‘ auf der Liste und welcher Titel fehlt?

Ein kleines Puzzlestück möchte ich auch beitragen:

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Nominiert in der Kategorie Sachbuch ist Jürgen GoldsteinGeorg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt (Matthes & Seitz Berlin). Ob Goldsteins Buch es mehr als andere verdient, auf der Buchpreisliste zu landen, weiß ich nicht. Allerdings ist es, unabhängig von der potentiellen Qualität nicht nominierter Bücher, ganz für sich genommen ein spannendes, kluges und elegantes Buch. Der schlanke, 230 Textseiten umfassende Essay über den Weltumsegler, Naturforscher, Schriftsteller, Übersetzer und Revolutionär Georg Forster (1754-1794) bietet einiges.

Zunächst handelt es sich um eine Biographie Forsters. Zwischen 1772 und 1775 nahm Forster an James Cooks zweiter Weltumsegelung teil (sein Vater war bei diesem Abenteuer für die wissenschaftlichen Untersuchungen verantwortlich). Nach seiner Rückkehr verfasst Forster seine berühmte Reise um die Welt und wird zur Berühmtheit. Er arbeitet als Übersetzer, verlässt England, wird Professor in Wilna und dann Bibliothekar der Universität Mainz. Schließlich wird er glühender Jakobiner und unterstützt die Mainzer Republik, geht nach Paris, ist schockiert vom einsetzenden Terror und stirbt als Geächteter. Ausgehend von diesen biographischen Wegmarken entwickelt Jürgen Goldstein eine hoch spannende Erfahrungs- und Ideengeschichte.

Jürgen Goldstein schildert die Geschichte der Naturerfahrung im achtzehnten Jahrhundert – mit Forster als Kronzeugen für eine Haltung, die den Vorrang der Empfindung vor bloßem Räsonieren betont. Forsters Ideal ist der „unbefangene Zuschauer“. Das spiegelt sich in seiner späteren Reisebeschreibung, die vom stilistischen Willen geprägt ist, „im Leser jene Empfindungen zu wecken, welche die Betrachtung der Natur in ihm selbst angeregt hat.“ Und das heißt auch: Ereignisse, die eine heftige Empfindung zu erregen im Stande sind, dürfen nicht nüchtern berichtet, sondern müssen dramatisiert werden. Forster interessiert sich für die Erfassung fremder Kulturen und entdeckt die Gleichheit aller Menschen: Überall teilen Menschen die gleichen Leidenschaften. Die ‚edlen Wilden‘ sind weder edel noch wild. Sie sind Menschen wie alle anderen auch. Allerdings bricht er mit einem naiven Anthropozentrismus: Die Welt, so erkennt er auf Reisen, ist keineswegs für den Menschen da. Die Natur ist übermächtig und die Schutzräume, die sich der Mensch schafft, sind zerbrechlich.

Jürgen Goldstein zeigt, wie sich ausgehend von einer bestimmten Idee der Natur und Naturerfahrung eine neue Perspektive auf die politische Ideengeschichte gewinnen lässt: ein neuer Blick auf die Genealogie von ‚Freiheit‘ und ‚Gleichheit‘. Dabei entsteht eine Ansicht der Aufklärung, die mit Forster die „Fremdbestimmung der Vernunft durch natürliche Kräfte“ ins Zentrum rückt. Goldstein nennt das die „verdunkelte Schattenseite“ der Aufklärung (so ‚dunkel‘ scheint mir das aber nicht zu sein).

Die Pointe des Essays liegt in der Verbindung beider Themenstränge. „Forster“, so schreibt Goldstein, „hat nach dem Gesetz gesucht, welches das Natürliche mit der politischen Freiheit verbinden soll.“ In seinen Schriften „berühren sich die beiden Schlüsselbegriffe jener Zeit auf spektakuläre Weise: ‚Natur‘ und ‚Revolution‘.“ Goldstein weigert sich – und weist im Verlauf seiner Argumention nach, dass diese Weigerung plausibel ist – Forsters Biographie zweizuteilen. Vielmehr setzt er das Leben des Naturforschers zum Leben des Revolutionärs in Beziehung. „Die Revolution vollzieht sich für Forster als Naturgewalt, die sich unaufhaltsam Bahn bricht: Die Natur ist – bis in das politische Geschehen hinein – das über uns verhängte Schicksal.“ Und an anderer Stelle:

„Eine Revolution ist für Forster ein Geschichtsereignis, das man nicht initiiert, sondern vielmehr beobachtet, begleitet und gegebenenfalls fördert. Zwar hat man sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen, aber an dem Gewirr der vielfältigen Revolutionskräfte hat jeder einzelne nur seinen kleinen Anteil. […] Die Revolution gibt die Richtung vor, nicht der Revolutionär. Ein Revolutionär reitet lediglich auf dem Rücken des Tigers.“ (S. 148f.)

Umstürze und Umbrüche sind für Forster nicht das Werk des Menschen, sondern „Folgen einer Natur, die auch den Menschen bestimmt“. Revolutionen sind Naturereignisse: Sie sind Erdbeben und Vulkanausbrüche in der Welt des Politischen. Kein bewusster Plan, sondern Eruption und Gärung – einmal in Gang gekommen, sind sie weder aufzuhalten noch zu lenken. Angesichts des einsetzenden Terrors der Revolution, der ihn während seines Parisaufenthalts anwidert, erkennt Forster, dass der Weg und die Richtung einer einmal entfesselten Bewegung nicht vorherzusehen sind. In der Revolution sind die Revolutionäre der Revolution ausgeliefert – vom „kalten Fieber“ ergriffen und „in Unruhe versetzt“. Wer glaube, die Ereignisse kontrollieren zu können, der irre. Selbst der Terror wird aus dieser Sicht „zu einem natürlichen Phänomen jenseits von Gut und Böse“.

Eine neue Französische Revolution steht gegenwärtig ebensowenig an wie neue Entdeckungsreisen. Dennoch bietet Jürgen Goldsteins Buch die Gelegenheit, einen vielleicht erschreckenden Blick auf unsere heutige Welt politischer Umbrüche zu werfen. Durch Forsters Brille sähe man Flüchtlingsströme, die über alle Ufer treten. Man sähe Provinzministerpräsidenten, die tatsächlich glauben, Fluten eindämmen und kanalisieren zu können. Man sähe das kalte Fieber und die Unruhe Demonstrierender, die meinen, die globalen Beben und Eruptionen nähmen ein Ende, wenn sie es nur laut genug forderten. Durch Forsters Brille sähe man auch, dass das kalte Fieber heute nicht mehr von der Idee der natürlichen Gleichheit und Freiheit aller Menschen ausgeht, dass sich heute politisch etwas anderes Bahn bricht als, so nannte es Forster, „das Gefühl der gekränkten Rechte der Menschheit“. Ein Blick durch Forsters Brille mag fatalistisch stimmen, er schafft aber auch Raum für ein neues Nachdenken, eine Suche nach neuen Lösungen. Man kann fordern, Obergrenzen festzulegen, Grenzen zu schließen, schneller abzuschieben und die Welt zu einem sicheren Herkunftsgebiet erklären. Ganz sicher nährt das aber nichts außer der Illusion – das würde Forster vielleicht so sagen  -, politische Naturgewalten seien beherrschbar.

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