Enttäuschung (keine Überraschung). Félix Guattari über den „planetarischen Kapitalismus“

Keine kulturpessimistische Klage über die nie endende Ausschlachtung großer Namen nach dem Ableben ihrer Träger, auch wenn die Textfledderei mitunter nervt und immer irgendwann einen toten Punkt erreicht.

Die gerade bei Merve erschienene kleine Sammlung mit Texten von Félix Guattari (1930-1992), auf die ich durchaus neugierig war, hinterlässt nun leider aber genau einen einzigen Leseeindruck, genauer: eine Fragenserie: Warum nochmal wollte ich das lesen, warum habe ich es gelesen, wer soll das lesen und warum wurde es jetzt veröffentlicht?

Die Hoffnung war, etwas über die Herausbildung des Kapitalismus in seiner globalisierten, digitalen und finanzmarktgetriebenen Gestalt zu erfahren. Und da Guattaris Texte, die Merve unter dem Titel „Planetarischer Kapitalismus“ versammelt, aus den Jahren 1979-1983 stammen – aus jener Zeit also , in der dieser neue, uns heute vertraute Kapitalismus entstand -, hatte ich auf die eine oder andere Idee oder spannende Interpretation einer gesellschaftlichen, kulturellen und ökonomischen Umbruchsituation gehofft. Nichts davon bieten die eher lieblosen und uninspirierten Gelegenheitstexte Guattaris.

Da wird etwa geraunt über das Kapital als „semiotischen Operator“, etwas Globalisierungstheorie geboten (der neue Kapitalismus betriebe gleichzeitig eine De- und Reterritorialisierung von Macht), etwas die marx’sche Mehrwerttheorie variiert (Profit werde nicht nur durch menschliche Arbeitskraft, sondern auch durch Maschinen erzeugt) und etwas über einen zunehmenden Kontrollverlust der bürgerlich-kapitalistischen Mächte prophezeit. Vieles von dem ist wenig spektalulär und erhält eine eigene Note lediglich durch Guattaris sprachliche und begriffliche Färbung: Da wirken „molekulare Mächte“, das Kapitel ist eine semiotische Kategorie und im Klassenkampf begegnen „revolutionäre Kriegsmaschinen“ und „Agencements des Begehrens“.

Im Wesentlichen ist das – zumindest in diesen Texten – Zeitkolorit. Analytischer Mehrwert entweder für das Verständnis des globalen Kapitalismus um 1980 oder gar für die Entwicklungen seither bietet das kaum.

Warum – und für wen – diese Texte dann 2018 zusammengetragen, übersetzt und veröffentlicht werden? Vielleicht hat das etwas mit einer nostalgischen Wende populärer Gesellschaftskritik zu tun; mit der Wiederbelebung einer heterodoxen Gesellschafts- und vor allem auch Kapitalismuskritik aus dem Umfeld des Alternativmilieus post-68. Autoren wie Guattari – aber auch, beispielsweise, André Gorz – entwickeln dann vielleicht ihren Reiz als Chronisten der beginnenden Gegenwart.

Félix Guattari: Planetarischer Kapitalismus. Übersetzt von Ronald Voullié und Frieder O. Wolf., 136 Seiten, Merve Verlag: Berlin 2018.

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